«Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch gross sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein» (Mk 10,42b–44).1 Daniel Bogner fordert zur Behebung der schwerwiegenden Krise, in der sich unsere Kirche aufgrund ihrer zunehmenden Entfremdung von der Welt der Neuzeit befindet, Instrumente der Gewaltentrennung und der Kontrolle absoluter Macht.2 Er erhofft sich so, dass offensichtliche Ungerechtigkeiten wie der Ausschluss der Frau vom kirchlichen Amt und systembedingte Krisensymptome wie die Missbrauchsthematik im Kern angegangen werden könnten. Ein probabler Lösungsvorschlag.
Ob das wohl im Sinne der jesuanischen Grundbotschaft wäre? Ob der apokalyptische Wanderprediger Jesus aus Nazareth, der dann später zum Christos einer weltumspannenden religiösen Bewegung geworden ist, Gewaltentrennung und Machtkontrolle im organisatorischen Auge gehabt hat? Wohl kaum, denn er rechnete sicher nicht damit, dass sich sein Jüngerkreis und die Gemeinden, die aus ihm gewachsen sind, so dauerhaft für Jahrhunderte, ja Jahrtausende in Welt und Geschichte einnisten werden und können, wie es geschehen ist. Nichts ist wohl mit dem Zauber des Anfangs unvereinbarer als fixe Strukturen und Ordnungen. Wäre er nur einige Jahrhunderte später – quasi zur Visitation – zurückgekommen, hätte ihn wohl der gleiche kalte Schauer, ja auch Ärger gepackt, wie es dem heiligen Franziskus ergangen sein muss, als der merkte, dass seine Brüder während einer kurzen Abwesenheit bereits Mobilien, ja Immobilien zugelegt hatten.3 Denn Jesus hätte ja feststellen müssen, dass mit der Konstantinischen Wende und dem Investiturstreit ganz neue Zeiten der Machtbesessenheit angebrochen waren. (Im Sinn des ehemaligen österreichischen Politikers Heinz-Christian Strache auch: der Machtbesoffenheit.) Und das wäre noch nicht einmal das Ende der Entwicklung: Absolute Macht, ja im Sinne des Dogmas von 1870 totale geistige Macht ist inkompatibel mit dem Geist des Evangeliums. Man(n) kann durchaus auch von Verrat, ja von Häresie sprechen!
«Bei euch aber soll es nicht so sein» – dieses Wort zielt auf innere Haltungen anstelle verordneter Strukturen. «Euer Diener sein», «der Sklave aller sein» – das meint eine grundsätzliche Haltung der Machtlosigkeit, des völligen Verzichts auf Macht als Stärkung der eigenen Position und Person. «Wer bei euch der Grösste sein will» – da geht es um nichts weniger als eine vorbildhafte Haltung, als ein Modell, wie «Frieden in Gerechtigkeit» eventuell doch menschenmöglich ist.
Meinte Papa Francesco wohl nicht nur die äusseren Insignien der Macht, sondern diese grundsätzliche Änderung in der Haltung, als er nach seiner Wahl ankündigte: «Il carnevale è finito»? Es können nicht nur Samtschuhe und farbige Roben gemeint gewesen sein, das würde dem Anspruch, den er mit seiner Namenswahl erhob, viel zu wenig gerecht. Es geht also um Bischöfe, Kardinäle, Päpste, aber auch um die gewöhnlichen Feld-, Wald- und Wiesenseelsorgenden, egal ob geweiht oder nicht, die sich bewusst sind, dass sie Machtlose sein müssen, wenn sie dem Auftrag des Religionsgründers entsprechen sollen. Es geht auch um völlig neue Wege von Berufungspastoral, Aus- und Weiterbildung. Und wäre nicht eventuell der kategorische Imperativ so auszulegen: Verzichte auf jede unnötige Macht(-Position), weil du das ja auch von deinen Nächsten erhoffst.
Das ist dann wohl sogar mehr als Demokratie, es ist der Versuch, in einer Art bewusster religiöser Anarchie der Geistkraft des Ewigen zu vertrauen. Zu viele sind nämlich daran gescheitert, wenn sie in Anspruch nahmen, dass gerade durch sie und mit ihnen diese (dann auch sehr männlich-potent gedachte) Geistkraft am Wirken sei. So wie im franziskanischen Sinn Immobilien immobil machen, so führt bewusst in Anspruch genommene geistige Macht in die Geistlosigkeit.
Heinz Angehrn