Wo ist die Stimme der Kirche?

Die Pandemie macht die Stärken und Schwächen der Kirche sichtbar. Dies gilt besonders für die kirchliche Kommunikation. Schliesslich ist Kirche Kommunikation des Evangeliums – oder sie verfehlt ihre Berufung.

In der Schweiz ist die lokale Autonomie der Kirche hoch, während kantonale, regionale, diözesane und gesamtschweizerische Ebenen eher schwach sind. Für die öffentliche Kommunikation ist dies problematisch: Die Öffentlichkeiten, die kirchliche Kommunikation ansprechen müsste, lassen sich nämlich kaum noch auf lokaler Ebene erreichen. Der Grund ist die Kirchendistanz vieler Menschen und Kirchenmitglieder. Diese nehmen «Kirche» vor allem in säkularen Medien wahr. Darin wird jedoch über Kirche berichtet, kaum durch kirchliche Akteure selbst – schon gar nicht mit lokalem Bezug. Auf pfarreilicher Ebene zeigte die Pandemiezeit, dass die Kirchenkommunikation über gedruckte Pfarreiblätter nicht aktualitäts- und krisenfähig ist. Printmedien benötigen einen grossen zeitlichen Vorlauf. Gerade zu Beginn der Krisenzeit, rund um Ostern, waren die Themen längst gesetzt und die Pfarreiblätter zielten oft an den Sorgen der Menschen vorbei. Oft gab es dann kreative Kompensationsversuche: Mit Telefonaten, Briefen, Mails oder auf anderen Wegen konnte Kontakt mit Menschen in Pfarreien erhalten werden. Dennoch scheint es, dass die Distanz zu kirchendistanzierten Menschen gerade in der Krisenzeit zugenommen hat. Zu den innovativen Entwicklungen der letzten Zeit gehört der «Digitalisierungsschub». Allerdings kommen zugleich Fehler im Umgang mit digitalen Medien in den Blick. Auf technischer Ebene gibt es ebenso Lücken zu schliessen wie bei Infrastruktur und handwerklicher Qualität.

Öffentliche Stimme finden

Was war die Botschaft der Kirchen inmitten der humanitären, sozialen und kulturellen Krise? Es ist den Kirchen nicht gelungen, eine öffentlich vernommene Botschaft zu verbreiten. Auch der traditionelle Jahresfestkreis hat sich als Kommunikationsgerüst nicht bewährt. Im Frühjahr 2020 hiess es: Ostern fällt aus. Weihnachten 2020 lautete es zwar «www.trotzdemlicht.ch», aber die Botschaft dürfte nur wenige Menschen erreicht haben. Und Ostern 2021? – Auch jenseits liturgischer Feste war kaum eine breite öffentliche theologische oder spirituelle Auseinandersetzung mit der Pandemie wahrnehmbar. Vielmehr überwogen technische Anweisungen zum Umgang mit der Pandemie. Auch wenn darin Vernunft und Verantwortung spürbar geworden sind und sogar die Bereitschaft zu einer sehr weitgehenden Zurücknahme kirchlicher Eigeninteressen, insbesondere beim Verzicht auf öffentliche Gottesdienste, so irritiert doch das ansonsten weitgehende Schweigen der Kirchen in der Krise. Hier zeigt sich eine grosse Rollenunsicherheit: Trauen sich die Kirchen keine öffentliche Rolle mehr zu? Papst Franziskus wies am 27. März 2020 mit dem ausserordentlichen Segen Urbi et Orbi einen anderen Weg. Auf dem menschenleeren Petersplatz zeigte er sich solidarisch in Rat- und Hilflosigkeit angesichts der Pandemie und hielt zugleich das Vertrauen auf Gott hoch – ohne die bestehende Situation erklären oder die Probleme lösen zu wollen. Gelungene religiöse Kommunikation, die weltweit Respekt fand!

Haltungsumkehr üben

Eine Krise offenbart Stärken und Schwächen. Es mangelte nicht an Kreativität und Engagement. Dennoch blieb kirchliche Kommunikation oft in Binnenfixierungen stecken und hat breitere Zielgruppen kaum erreicht. Das ist keine neue Beobachtung, sie wurde in der Pandemiezeit aber deutlicher: Was kirchlich kommuniziert wird, geht an den Augen, Ohren und Herzen der Menschen vorbei. Das Evangelium bleibt fern. Hier braucht es neben strukturellen und handwerklichen Verbesserungen auch eine Haltungsumkehr: Freude, Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen müssen als Entdeckungsorte des Evangeliums in religiöser Kommunikation erschlossen werden. Wo Kirche nicht mehr die Nähe zu den Menschen findet und sich auch strukturell entsprechend aufzustellen versucht, wird sie kommunikativ irrelevant.

Arnd Bünker


Arnd Bünker

Tit. Prof. Dr. theol. Arnd Bünker (Jg. 1969) studierte Theologie in Münster und Belo Horizonte (Brasilien) sowie Sozialpädagogik in Münster. Seit 2009 ist er Institutsleiter des SPI in St. Gallen und seit 2014 Titularprofessor an der Theologischen Fakultät in Freiburg i.Ue.
(Bild: Ana Kontoulis)