SKZ: Wie kam es zu dieser ersten Versammlung in Basel?
Barbara Hallensleben: Die Basler Versammlung war zunächst eine Randerscheinung: Der Weltkirchenrat hatte einen weltweiten «konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung» initiiert. Die Länder der sogenannten Dritten Welt bestanden darauf, Europa solle seine spezifischen Fragen zunächst intern klären, um bei der Weltversammlung in Seoul 1990 die vordringlichen Fragen des Nord-Süd-Konflikts nicht zu verdrängen. Die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) mit ihren protestantischen, anglikanischen und orthodoxen Mitgliedskirchen ergriff die Initiative. Der Rat der katholischen Bischofskonferenzen Europas (CCEE) stimmte der Einladung zu. Da beide Organisationen je etwa die Hälfte der europäischen Christenheit vertreten, konnten sie auf diese Weise gut paritätisch arbeiten.
Welche Impulse gingen von Basel aus?
Die Versammlung erhielt unerwartet eine Eigendynamik und entwickelte eine nachhaltige Ausstrahlung. Es war ein Kairos in der Geschichte Europas! Mit viel Mühe gelang es, unter den 700 Delegierten auch Gruppen aus den orthodox geprägten Ländern Osteuropas nach Basel zu holen. Präsident der KEK war der damalige orthodoxe Metropolit von Leningrad und spätere Patriarch Alexij. So entstand ein Bild der Einheit der europäischen Christenheit, die politisch noch getrennt war. Bei dem «Drei-Länder-Marsch» von Basel nach Frankreich, Deutschland und zurück in die Schweiz hatten viele Osteuropäer Tränen in den Augen. Katharina Seifert hat in ihrer Doktorarbeit nachgewiesen, dass von Basel eine Ermutigung für den Fall der Berliner Mauer und den politischen Umbruch in demselben Jahr 1989 in Europa ausging. Zur Delegation der DDR in Basel gehörten mehrere Personen, die in Leipzig um die Nikolai-Kirche die friedlichen Demonstrationen gegen das damalige Regime leiteten.
Man darf auch die kirchlichen und theologischen Impulse nicht vernachlässigen. Nicht zufällig fand die Versammlung in der Pfingstwoche statt. Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung können als sozialpolitische Themen gedeutet werden. Doch sie gehören zu einem «konziliaren Prozess», der die Kirchen wieder fähig machen will, gemeinsam auf konziliare, synodale, kirchliche Weise zu handeln. Es war entscheidend für die Versammlung, dass jeder Arbeitstag mit einem gemeinsamen Gebet im Basler Münster begann. Hier wurde eine Gemeinschaft im Glauben erfahrbar, die stärker war als kontroverse Meinungen.
Wie kam es zu den weiteren Treffen?
Rasch entstand die Idee, regelmässig derartige europäische ökumenische Versammlungen abzuhalten. Nach dem protestantisch geprägten Basel wählte man 1997 die Stadt Graz (A) im katholischen Umfeld, schliesslich 2007 Hermannstadt/Sibiu (RO) in einem orthodox geprägten Land. Die Versammlung in Graz mit ihrem Thema «Versöhnung» war sicherlich wichtig. Basel stand für Aufbruch, Hoffnung und Verheissung, für eine Kühnheit, die Grenzen überwindet. Doch bald folgte die Frustration, weil das reale Zusammenwachsen von Ost und West in Europa viel schwieriger und langwieriger war, als erwartet und vielleicht bis heute nicht eingetreten ist. Trotz oder wegen der erhöhten Zahl von Delegierten fehlte der Versammlung in Sibiu die Kraft, neue Impulse zu geben. Seit Sibiu gibt es, soweit ich sehe, keine Initiative zu einer weiteren Versammlung. Wunder lassen sich nicht wiederholen!
Wie erklären Sie sich diese Tatsache?
Auch in der ökumenischen Bewegung hat alles seine Zeit. Basel initiierte eine neue Art von Ökumene. Hier standen nicht mehr theologische Konsensdokumente im Zentrum, die nur von wenigen verstanden werden. In Basel ging es um eine Selbstverpflichtung zu einer Änderung des Lebensstils. Dafür reichen selbst grosse Versammlungen nicht aus. Die Impulse müssen auf allen Ebenen des christlichen Lebens aufgegriffen und umgesetzt werden.
Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Die ökumenische Bewegung bringt neue Schauplätze und Formen hervor. Im Jahr 2001 haben die Partner von Basel, KEK und CCEE, die «Charta Oecumenica» unterzeichnet, in der es um praktische Selbstverpflichtungen der Kirchen Europas geht. Die Initiativen zur gegenseitigen Taufanerkennung gehören zu den kostbaren Errungenschaften auf diesem Weg. Mit der «Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa» (GEKE) meldet sich auf europäischer Ebene ein neuer ökumenischer Partner zu Wort. Der nächste Schritt, der sich abzeichnet, könnte als «zwischenkirchliche Synodalität» bezeichnet werden. P. Hyacinthe Destivelle, ein Mitarbeiter von Kardinal Kurt Koch im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen, hat kürzlich bei einem Vortrag in Freiburg i. Ue. auf eine neue Entwicklung aufmerksam gemacht: Papst Franziskus verwendet das Wort «synodal» nicht mehr komparativ für die synodalen Beratungs- und Entscheidungsorgane verschiedener kirchlicher Traditionen. Er beginnt von einer zwischenkirchlichen Synodalität zu sprechen, in der Kirchen nach einem sorgfältigen Prozess der Unterscheidung das, was sie verbindet, auch in gemeinsam verantworteten Formen kirchlichen Lebens zum Ausdruck bringen. Damit könnte der ursprünglich angeregte «konziliare Prozess» als «synodaler Prozess» intensiviert werden.
Die Treffen wurden von den Medien nicht wirklich rezipiert …
1989 waren sogar das Faxgerät und das Funktelefon noch relativ neue Errungenschaften. Unmittelbar während und nach der Versammlung war es vielleicht kaum möglich, dieses Ereignis angemessen zu würdigen. Die unmittelbare Aufmerksamkeit war von bestimmten Interessen geleitet: Einige befürchteten von der Basler Versammlung eine Politisierung der christlichen Botschaft, andere erhofften sie. Einige junge Leute stürmten beim Schlussgottesdienst das Rednerpult, um Anliegen der lokalen Jugendszene durchzusetzen. Bei seiner Ansprache in der ökumenischen Schlussfeier sagte Carl Friedrich von Weizsäcker: Die Fruchtbarkeit der Basler Versammlung wird davon abhängen, ob ihre Ergebnisse Wurzeln schlagen in den Herzen vieler Menschen, ob aus den «schönen Worten […] Handlungen werden, die Tag für Tag geschehen». In diesem Sinne braucht der «Geist von Basel» eine Fortsetzung.
Welche Konsequenzen ziehen Sie persönlich aus diesen Treffen?
Ich bin ausserordentlich dankbar, dass ich 1989 im katholischen Organisationssekretariat der Basler Versammlung mitarbeiten durfte. Diese Erfahrungen haben meine theologische und meine ökumenische Arbeit geprägt. Auch in Sibiu war ich dabei – und nach diesem Treffen war für mich klar, dass diese Bewegung keine Fortsetzung mehr haben kann. Das sage ich nicht resigniert, sondern mit der Aufmerksamkeit für die neuen Zeichen der Zeit. Am Ende der Botschaft von Basel heisst es: «Der Geist Gottes, der uns hier zusammengeführt hat, wird immer wieder weit über unsere Erwartungen hinaus wirken». Davon bin ich fest überzeugt, und diese erwartungsvolle Offenheit versuche ich auch den Studierenden in der Vorlesung zur Einführung in die Theologie der Ökumene zu vermitteln.
Interview: Rosmarie Schärer