Aus dem Alltag der Schwestern in Flor de Punga

Seit 15 Jahren sind die Schwestern der peruanischen Kongregation Hermanas Concepcionistas de Copacabana im peruanischen Amazonasgebiet tätig. Ihre Leidenschaft steckt an.

Sr. Melshia, Sr. Celia, Pfarrer P. Florencio Mínguez und Sr. Blanca in Flor de Punga. Wo immer die Schwestern unterwegs sind kommen gleich die Kinder und wollen mit ihnen sein. (Bild: Martin Bernet)

 

«Ich lebe und arbeite seit neun Jahren in Flor de Punga. Und ich bin glücklich, hier im Regenwald zu sein, zusammen mit den Jugendlichen und den Kindern», sagt Sr. Aideé Risco mit fester Stimme. Sr. Aideé stand bis Ende 2017 der kleinen franziskanischen Schwesterngemeinschaft der Hermanas Concepcionistas de Copacabana vor.1 Die umtriebige Ordensfrau ist verantwortlich für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen: Katechese, Vorbereitung auf die Sakramente und viele Freizeitaktivitäten.

Mit zur Gemeinschaft gehören Sr. Celia, Sr. Blanca und Sr. Melshia. Sr. Celia ist Peruanerin und stammt aus den Anden. Sie wirkt ebenfalls seit bald zehn Jahren in der Tiefebene des Amazonas, die so ganz anders ist als das Gebirge. Ihr Aufgabe war es, die Dörfer und Weiler entlang des Flusses zu besuchen; nun ist sie in der Schule tätig. Sr. Melshia ist Inderin. Nach ihrem Sprachkurs in Lima lernt sie nun eine für sie ganz neue Welt kennen.

Mit ihrem sandfarbenen Ordenskleid, der weissen Bluse und dem weissen Schleier sind die Schwestern einfach und schnell zu erkennen. «Unser Orden wurde im Jahr 1691 in Peru gegründet», erzählt Sr. Aideé. «Angefangen hat es mit der Aufnahme von Waisenkindern, deren Eltern als Sklaven entführt worden waren. Bei uns erhielten sie Katecheseunterricht und konnten zur Schule gehen. Heute sind wir rund 40 peruanische Schwestern und engagieren uns in ganz Peru.» Aus der Seelsorge des Apostolischen Vikariates Requena sind sie nicht mehr wegzudenken.

Der Fluss bestimmt das Leben

Das Apostolische Vikariat Requena liegt im Nordosten Perus, im Departement Loreto. Das Vikariat ist etwa doppelt so gross wie die Schweiz und wird von riesigen Flüssen durchzogen, die schliesslich den Amazonas bilden. Nur auf dem Wasserweg oder mit dem Flugzeug ist die Region erreichbar. Die Flüsse bestimmen das Leben und den Rhythmus der Menschen: Sie leben vom Fischfang und von der Landwirtschaft, die dank des reichlich vorhandenen Wassers immer Früchte hervorbringt. Die Häuser in Ufernähe sind auf Stelzen gebaut, denn von Januar bis Mai steigt das Wasser um drei Meter, manchmal mehr. Und jeglicher Transport geht über das Wasser.

Am Ucayali liegt die Hauptstadt des Vikariats, Requena. Von dort aus ist Flor de Punga flussaufwärts gelegen mit einem schnellen Boot in drei Stunden zu erreichen. Aber es ist eine abenteuerliche Fahrt, den vielen Windungen des Flusses zu folgen und den im trägen Wasser treibenden Baumstämmen auszuweichen. Nicht allen Reisenden ist wohl bei einer solchen rasanten Fahrt. Der Ort Flor de Punga mit seinen etwa 3'000 Einwohnern liegt an einer grossen Flussbiegung. Er ist von fast rechtwinkelig angelegten Betonwegen durchzogen, die den regelmässigen Überschwemmungen trotzen. Hinter den einfachen Häusern liegen die Gärten und Felder, dann folgt das Immergrün des Urwaldes.

Pastoraler Auftrag: Kinder und Jugendliche

Es war der verstorbene Bischof Victor de la Peña (1933–2015), der eine Schwesterngemeinschaft bei sich im Vikariat haben wollte. Sie sollten ihm bei der Seelsorge und der Evangelisierung helfen. Er wollte auch die Jugendlichen vermehrt in die Aktivitäten der Pfarrei einbeziehen und die Jugendarbeit stärken. 2004 kamen die ersten vier Ordensfrauen an. Heute verantworten die Schwestern zusammen mit Pfarrer P. Florencio Mínguez die Seelsorge. Von Flor de Punga aus betreuen sie etwa 85 Siedlungen und besonders die dort ehrenamtlich tätigen «animadores». Im Ort selber liegt der Schwerpunkt ihrer Pastoral in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, der «Infancia misionera», und in der Schule.

Über die Arbeit mit den Kindern erzählt Sr. Aideé: «Anfangs März kündigen wir die Aktivitäten der Infancia via Lautsprecher im Dorf an. Das läuft parallel zum Schuljahresanfang. Alle Kinder, die bei der Infancia misionera mitmachen wollen, kommen an diesem Tag um 15 Uhr zur Pfarrei. Dort müssen die Mütter ihre Kinder einschreiben. Wir erstellen eine Liste und laden die Kinder zum ersten Treffen ein. Dann beginnen wir mit der Katechese, singen und spielen miteinander. Und wir schauen, dass wir den Kindern ein z’Vieri geben können.»

Die Kinder sind immer hoch motiviert und oft schon eine Stunde vor Beginn da. «Sie kommen sehr gerne und wollen die Geschichten über Jesus hören. Sie sind neugierig und wollen alles wissen. Wir beten und spielen gemeinsam. Die Freude der Kinder ist ansteckend!» Und Sr. Aideé resümiert: «Ich liebe meine Arbeit, auch im Wissen, dass das Himmelreich für die Kinder reserviert ist.»

Fehlende Väter

Was auf den ersten Blick sehr idyllisch aussieht, trügt, denn viele Kinder stammen aus problematischen Familienverhältnissen: «Viele Kinder kommen nicht aus Familien mit Mutter und Vater. Hier im Regenwald ist das eher unüblich», weiss Sr. Aideé. «Die Kinder wohnen bei ihrer Stiefmutter oder ihrem Stiefvater, bei der Grossmutter, einem Onkel oder einer Tante. Das ist ein grosses Problem.» Die Katechese ist für die Schwestern diesbezüglich eine Herausforderung: «Mit den Kindern über Gott Vater zu sprechen ist nicht einfach, weil viele unter ihnen keinen Vater haben. Nicht weil er gestorben ist, sondern weil er nicht da ist: Er lebt in einer anderen Familie, mit einer anderen Frau oder will ganz einfach seine Verantwortung für die Kinder nicht wahrnehmen. Die Vaterschaft ist ein sehr heikles Thema. Die Kinder haben zwar eine Mutter, aber einen Vater…» Viele Väter sind auch weggezogen, um Arbeit zu finden in Requena oder in Lima, und verlassen deshalb Frau und Kind.

Die Schwestern wissen um die ganze Problematik des fehlenden Vaters, bleiben aber nicht bei den Problemen stehen. «All dies hindert uns nicht daran, in Freude zu leben, ganz besonders die Kinder! Sie machen es sich nicht kompliziert. Es reicht ihnen, wenn wir ihnen unsere Zuneigung zeigen und sie annehmen.»

Mangelnde Schulbildung

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt der Schwestern ist die Schule, wo vor allem die leutselige Sr. Celia tätig ist. «Dort gibt es grosse Mängel», berichtet die Ordensfrau. «Das Engagement der Lehrpersonen ist klein.» Sie werden kaum kontrolliert und ihre Motivation lässt oft zu wünschen übrig. In den Dörfern beschweren sich sie Leute darüber, dass sie nicht kommen. «Es hängt auch an den Distanzen, weil die Mehrheit der Lehrpersonen aus Requena stammt.» Und sie sind auf die Boote angewiesen, die nicht immer regelmässig fahren. Für Sr. Celia ist die mangelnde Bildung «eine der grössten Herausforderungen». Es liege auch am Bewusstsein. «Während der Schulzeit leben die Lehrerinnen und Lehrer in den Dörfern und Weilern, sonst aber sind sie in Requena. Sie haben ihre Familien in der Stadt und fahren für den Unterricht in die umliegenden Siedlungen. Am Ende des Monats kommen sie jeweils zurück und bleiben oft lange, weil beispielsweise das Boot nicht fährt oder andere Gründe gegen eine Rückkehr zur Schule sprechen. Manchmal dauert der Aufenthalt zu Hause eineinhalb oder zwei Wochen, bevor sie wieder ins Dorf aufbrechen.» So ist ein kontinuierlicher Unterricht nicht möglich. Es sind vor allem die Kinder und Jugendlichen, die eine unzureichende Bildung erhalten und kaum eine Chance auf eine weitere Ausbildung haben.

Es gibt einige Jugendliche, die dank Stipendien von der Pfarrei studieren. «Die Idee ist, sie in den Studien zu unterstützen, damit sie später wieder nach Flor de Punga zurückkehren. In Wirklichkeit bleiben sie in der Stadt.» Das ist eine ernüchternde Feststellung: Die Jungen ziehen weg und die Alten bleiben zurück.

Leben von der Vorsehung

Weil der Fluss und der Regenwald reichlich Nahrung bieten, denken die Menschen nicht daran, etwas zu sparen oder auf die Seite zu legen. «Sie leben von Tag zu Tag. Wenn das Fischen oder die Arbeit für den Lebensunterhalt eines Tages reicht, dann ist es genug. Sie leben, um es religiös auszudrücken, von der Vorsehung.» Sr. Celia ist unter anderen Bedingungen aufgewachsen. In den Bergen bedeutet Landwirtschaft intensive Arbeit, damit etwas gedeiht, und die Menschen müssen Vorräte anlegen. «Hier hat es immer Fische und weil das Amazonasgebiet reich an Vegetation ist, gibt es stets Früchte tragende Bäume. Gott hat diesen Ort mit einer unglaublichen Fülle gesegnet.»

Trotz der vielen Herausforderungen leben die Schwestern ihr Charisma mit Leidenschaft. Und sie wissen, dass sie hier, mitten im Amazonas, Teil einer weltumspannenden Gemeinschaft sind. Das gibt ihnen Kraft.

Siegfried Ostermann

 

 

1 Missio Schweiz bereiste die peruanische Amazonasregion 2004 und 2017. Bereits 2004 waren Sr. Aideé und Sr. Celia in Flor de Punga tätig. Der Text bezieht sich auf die Reise von November 2017. In der kleinen Ordensgemeinschaft gab es mittlerweile personelle Veränderungen. Das Engagement ist aber unverändert geblieben.

 


Siegfried Ostermann

Siegfried Ostermann (Jg. 1970) ist Theologe und arbeitet bei Missio in den Bereichen Kommunikation, Weltkirche und Aktion Sternsingen.