Wer an Peru denkt, denkt vermutlich zuerst an Anden, Lamas, Inkas und den legendären Machu Picchu. Aber es gibt ein anderes Peru, fernab der touristischen Höhepunkte, der hektischen Grossstädte und der 6000er der Kordilleren: die Amazonasebene, Selva genannt. Östlich der Gebirgs- kette nimmt sie über 60 Prozent der Landfläche ein. Hier durchziehen die grossen Quellflüsse des Amazonas das Immergrün des nahezu undurchdringlichen Urwalds. Die schier endlosen Mäander der Flüsse sind Transport- und Verkehrswege und Lebensadern für Flora und Fauna – und natürlich für die dort lebenden Menschen. Nur auf dem Wasserweg oder aus der Luft ist die Region zu erreichen. Missio war im vergangenen Herbst dort und stellt sie in diesem Jahr als «Gastkirche» im Monat der Weltmission mit dem Slogan «Hinausgehen, Hoffnung schenken» vor.
Kirche im Aufbau
Der nordöstliche Teil Perus ist das Departement Loreto. Es macht etwa einen Drittel der Landfläche Perus aus. Die katholische Kirche ist dort in vier Apostolischen Vikariaten organisiert: Iquitos, Requena, San José de Amazonas und Yurimagua. Die Reise der beiden Missio-Mitarbeitenden Sylvie Roman und Martin Bernet führte im November 2017 in die Vikariate Iquitos und Requena. Beide Vikariate sind flächenmässig riesig; allein Requena ist doppelt so gross wie die Schweiz. Der Anteil der katholischen Bevölkerung ist hoch; in Iquitos liegt er bei etwa 83,5 Prozent der 1,1 Mio. Einwohner. In Requena konzentriert sich die Bevölkerung entlang des Ucayali und etwa 60 Prozent der 170 000 Menschen sind katholisch. Die Bischöfe der Vikariate sind Ordensmänner und stammen aus Spanien. Der Anteil der einheimischen Priester ist gering, und im gemeinsamen Priesterseminar der vier Vikariate befinden sich zehn junge Männer in Ausbildung. In der Seelsorge der Vikariate arbeiten neben Ordensfrauen und -männern wenige hauptamtliche Laien sowie Katechetinnen und die «animadores», Frauen und Männer jeden Alters, die das kirchliche Leben in den Dörfern und abgelegenen Weilern leiten.
Pragmatische Lösungen
Wie packt die Kirche in diesen Apostolischen Vikariaten die Seelsorge an, was sind die besonderen Herausforderungen? Eine grosse Herausforderung sind die gewaltigen Distanzen zwischen den Dörfern, die deshalb nur sporadisch besucht werden können. Dazu kommen die beschwerliche Mobilität und der Mangel an Priestern. Sie sind die wichtigsten Gründe dafür, dass pragmatische Lösungen für die Seelsorge gefunden wurden.
Um die Menschen in den Dörfern und Weilern entlang des Flusses einigermassen regelmässig besuchen und so eine flächendeckende Pastoral gewährleisten zu können, hatte sich der frühere Bischof von Requena, Victor de la Peña (1933–2015) – ein Franziskaner aus Spanien –, ein Boot bauen lassen. Mit dem fuhr er auf dem Ucayali auf Pastoralreise: Im Unterdeck war neben den Räumen für Katechese auch ein kleines Gesundheitszentrum eingerichtet. Mit dem Boot wollte er wenigstens hin und wieder die abgelegenen Gemeinden erreichen. Für ihn war klar, dass die Verkündigung des Evangeliums, die Feier der Eucharistie und die Spendung der Sakramente Hand in Hand gehen muss mit dem leiblichen Wohl der Menschen: Die Gesundheitsstation auf dem fahrenden Pastoralboot war ein Beispiel dafür.
Ein anderer Weg, um eine Seelsorge zu gewährleisten, besteht darin, Menschen vor Ort auszubilden und zu befähigen, das religiöse und kirchliche Leben in den Gemeinden autonom zu animieren und die Gemeinschaften verantwortlich zu leiten.
Von «animadores» getragene Kirche
Ohne «animadores» läuft heute in der Seelsorge des Vikariats nichts. Diese «animadores» sind das Ergebnis von pastoralen Entwicklungsprozessen, in denen Männer und Frauen gefördert und ausgebildet wurden, um verantwortlich und mündig Leitung zu übernehmen. Die katholische Kirche lebt von diesem gemeinsamen Engagement der Christen vor Ort, weil sie das Kirchesein partizipativ gestalten.
In Requena sind es vor allem Ordensleute, die sich um die Aus- und Fortbildung der «animadores» kümmern; in Flor de Punga ist es die franziskanische Schwesterngemeinschaft der «Hermanas Concepcionistas de Copacabana»*. Sie organisiert und koordiniert die Fortbildungskurse, die die ehrenamtlich tätigen Frauen und Männer von der Pfarrei bezahlt bekommen. Zu Beginn ihrer Tätigkeit gingen die Ordensfrauen in die Dörfer und versuchten, geeignete Personen für die Gemeindeleitung zu finden. «Manchmal blieben wir ein oder zwei Wochen», erzählt Sr. Celia. «Die Tatsache, dass wir sie besuchen, lässt sie spüren, dass wir Geschwister sind und dass sie nicht allein sind.»
Heute werden die «animadores» basisdemokratisch gewählt. Zwei- bis dreimal pro Jahr kommen sie in Gruppen zu einer mehrtätigen Fortbildung zusammen. Der erste Teil der Treffen ist dem persönlichen Austausch gewidmet. Das ist wichtig, um zu hören, was in den Dörfern passiert, was in der Arbeit gelungen ist und wo es Schwierigkeiten und Probleme gibt, für die Lösungen gefunden werden müssen. Mit Vorträgen und in Gruppenarbeit wird an den weiteren Tagen ein bestimmtes Thema vertieft: die Situation der Familien in den Dörfern, ökologische Fragen oder biblische Themen. Thematisiert werden auch das Selbstverständnis der «animadores», ihre Mis- sion, die grundlegenden Aufgaben und ihre Verpflichtungen. Zum Abschluss folgt jeweils ein praktischer Teil, in dem der Liturgieplan der kommenden Wochen und Monate besprochen wird. Konkrete Feiern wie z.B. Maiandachten und Wortgottesdienste werden auch eingeübt.
Diese pastorale Erfahrung zeigt, dass Kirche dort lebt, wo diese Menschen das Zusammenleben gestalten, und nicht wo ein Priester ist. Nicht nur hier, sondern in ganz ähnlicher Weise im gesamten Amazonasgebiet: Ausgebildeten Laien in den Gemeinden wird deren Leitung übertragen, für die sie befähigt wurden. Sie führen die Katechese, feiern die sonntäglichen Wortgottesdienste und bereiten die Kinder und Jugendlichen auf die Sakramente der Erstkommunion und der Firmung vor. Das funktioniert, weil den Frauen und Männern auch wirklich Vertrauen geschenkt wird.
Erfahrungen der Weltkirche
Die Weltkirche – in diesem konkreten Fall das Amazonasgebiet – hat ganz offensichtlich Erfahrungen zu bieten, die der Kirche in unseren Breitengraden fehlen. Erst vor Kurzem war eine Delegation von Verantwortungträgern aus der Diözese Würzburg in ihrer brasilianischen Partnerdiözese, um «herauszufinden, wie die Pastoral in der Partnerdiözese lebt und organisiert ist und was wir ggf. dafür für unsere Prozesse lernen können».
Die Strukturen sind so gestaltet, das Partizipation ermöglicht wird. «Partizipieren, das heisst auch Verantwortung, Selbständigkeit, Leitung. Mit der Übernahme von Verantwortung vonseiten der Laien korrespondiert das Vertrauen, das ihnen die Hauptamtlichen entgegenbringen.» Für Stefan Silber scheint dies «der Schlüssel zu sein, weshalb diese Struktur lebt», wie er auf www.feinschwarz.net ausführt.
Die Amazonassynode
Die Amazonassynode 2019 wird sich bei ihrer Suche nach neuen Wegen für die Evangelisierung an diesen Erfahrungen orientieren. Es besteht die Erwartung, dass sie den Schrei Tausender Gemeinschaften hört, die über lange Zeit hinweg ohne sonntägliche Eucharistiefeiern leben müssen, und eine Antwort gibt auf die Realitäten der Menschen im Amazonasgebiet.
Die Apostolischen Vikariate Perus werden durch die Kollekte vom Sonntag der Weltmission unterstützt. Diese finanzielle Unterstützung stärkt die Kirchen vor Ort und ermöglicht die Aus- und Weiterbildung von Frauen und Männern. So werden pastorale Erfahrungen ermöglicht, die Anstösse für die Pastoral bei uns sein können. Der Monat der Weltmission bietet die Gelegenheit, von diesen Erfahrungen der Weltkirche zu lernen und das Bewusstsein zu fördern, dass wir in Vielfalt miteinander verbunden sind.
Siegfried Ostermann